Truth. Das entscheidende Wort fällt gleich zu Beginn, und es umfasst Ziel, Anspruch, und Maßstab dessen, was man als Qualitätsjournalismus bezeichnet. Aber wenige Sätze später wird es bereits durch das Versagen eines ganzen Berufsstandes, – dokumentiert durch einige Fälle aus der jüngeren Vergangenheit -, konterkariert. Journalists should check things, and ask questions. Oft passierte genau das nicht, man erinnere sich an die Behauptungen über angebliche Massenvernichtungswaffen des Irak unter Hussein, die Lewinsky-Clinton Affäre, oder den Millenniumsbug. Hier wie da hat das was wir Journalismus nennen, versagt, oder zumindest erst sehr viel später – also zum falschen Zeitpunkt – funktioniert.
Nick Davies, Journalist beim britischen Guardian, und Autor des Buches „Flat Earth News“, hielt anlässlich einer Podiumsdiskussion „Ausverkauf der Qualität – Steht journalistischer Anspruch vor dem Ende?“ das Hauptreferat, auf das von den übrigen Podiumsmitgliedern – Joachim Riedl (Die Zeit), Armin Wolf (ORF), Atha Athanasiadis (News) und Fritz Hausjell (Universität Wien) – in Form von Kurzbeiträgen geantwortet, und anschließend diskutiert wurde – gegen Ende auch unter Einbeziehung von Fragen aus dem Publikum.
Davies, der seine Ausführungen auf Großbritannien bezogen wissen will, aber die zu Tage geförderten Muster durchaus für andere Länder in Betracht zieht, entwickelt in seiner Kritik zwei Hauptpunkte, die man als personal und strukturell begreifen kann: Einerseits tun Journalisten – grob gesagt – nicht mehr das, was sie tun sollten, andererseits aber ändern sich Infrastruktur und Arbeitsumgebung in die sie eingebettet sind, und die entsprechend rückwirken. Damit ist nicht der Einfluss von Eigentümern oder werbeschaltenden Institutionen gemeint, er wird von Davies als gering beziffert. Die Hauptursachen sind andere, nämlich business and commercialism, die den Journalismus verdrängten und verdrängen.
Dazu ließ Davies zwei Untersuchungen durchführen, die recht gut illustrieren, was mit journalistischem Qualitätsverlust gemeint ist, und wo er herkommt: Von 2000 Artikeln aus vier britischen Qualitäts- (inklusive Guardian) und einer Boulevardzeitung war nur bei 12% nachzuweisen, dass die Verfasser die dargelegten Fakten untersucht und recherchiert hatten (bei 8% konnte es nicht eindeutig festgestellt werden). Der Rest der Artikel verwendete second hand information wie sie z.B. news agencies liefern – die eigene Recherche fällt unter den Tisch. Eine niederschmetternde Analyse.
Die zweite Untersuchung zeigt, dass im Vergleich zu früher (etwa 10 Jahre zurück) ein Journalist heute für die dreifache Menge an Platz in einer Zeitung verantwortlich ist, was ihm weniger Zeit für Recherche, Genauigkeit, usw. lässt. Ursächlich sind beide Resultate verbunden: Medienkonzerne haben viele Zeitungen übernommen (Davies betont aber, dass Familieneigentümer nicht notwendiger Weise besser sind) und Umstrukturierungen die von Gewinnstreben geleitet sich, durchgeführt: Das führt zu Einsparungen beim Personal, und damit zu Qualitätsverlust, da gleiche Mengen, oder größere von weniger Journalisten bewältigt werden müssen. Daher werden Informationen, etwa von den genannten Quellen bezogen, aber nicht weiter überprüft. Hinzu kommt, dass fast alle Organisationen Presseagenturen, und PR-Abteilungen besitzen, die selektiv Information verbreiten, und anderes unter den Tisch fallen lassen (mitunter wird auch einfach gelogen). Es wird also immer schwerer diejenigen Informationen herauszufiltern, die vertraulich sind, Umstände die eigentlich kompetent recherchierende Journalisten erfordern, zumal PR-Agenturen weltweit agieren, und u.a. auch von Politikern – etwa von Bush senior zur Rechtfertigung seiner Intervention im Irak bzw. Kuweit – eingesetzt werden.
Schwierig ist es die Mitschuld der Journalisten selbst einzuschätzen. Davies jedenfalls setzt sich mit seinem Berufstand durchaus kritisch auseinander, und entschuldigt ihn nicht als in einer Kausalkette gefangen. Andererseits bekommt man doch den Eindruck einer fast unumgänglichen Entwicklung. Es bleibt also unklar, inwiefern man sich diesen Entwicklungen entziehen kann (auch die anschließende Diskussion bleibt hier etwas schuldig).
Die Wirtschaftskrise beschleunigt die geschilderten Vorgänge weiter, da Einnahmen durch Werbung stark zurückgehen, weitere Einsparungen getroffen werden, und die Entlassung von Journalisten zu noch weniger Zeit bei noch weniger Mitarbeitern führt.
Abschließend versucht Davies die vorherrschende (Verkaufs)“Logik“ zu illustrieren: Stories werden ausgewählt um Geld zu machen. Man muss sie, so schlecht ihre Qualität auch ist (man weiß durchaus darum), abdrucken, da die eigenen Leser ansonsten nicht informiert sind (sie wollen mitreden können), und weil andernfalls die Konkurrenz „abräumt“. Hinzu kommt die Erzeugung von Gefühlen bzw. ihre Annahme und die Ausrichtung auf sie (you have a feeling and you sell it). Als Beispiel führt er Obamas „change“ an (man habe viel zu wenig gefragt, ob der „change“ [etwa sie Situation der Afroamerikaner] sich tatsächlich so geändert hat, wie es die Wahl Obamas nahelegt).
Davies, der ein begabter und beeindruckender Redner ist, gelang es in einer klaren und mitunter sehr pointierten Skizze, darzulegen wie es – seiner Sicht zufolge – um die vierte Gewalt, den Journalismus, steht. Die Antworten, und die folgende Diskussion* hingegen sind als ambivalent zu bezeichnen: Neben guten Kommentaren war auch genügend Schwaches zu finden (man verhielt sich dem eigenen Gütesiegel abträglich, und stellt den Chefredateur von News, als Vertreter eines – Eigendefiniton – Infotainment-Magazins, als Prügelknaben aus). Manch ein Kommentar verliert sich im plauderhaft-nebulösen Gefilden, oder wirkt – wie Riedl, der durchaus gute Punkte ansprach – zu improvisiert. Schade, denn die Idee der von der Zeit, von ORF, und Universität Wien veranstalteten Dialogforum-Reihe – die Veranstaltung fand in einem Hörsaal statt – , ist grundsätzlich zu begrüßen, und nimmt eine Aufgabe von Medien in einer Demokratie wahr. In Summe bleibt, von Davies Vortrag abgesehen, nicht allzu viel.
Das Wort Aufklärung fiel seltsamerweise den gesamten Abend über kein einziges Mal.
* * *
Die Zitate (kursiv) aus dem von Nick Davies auf Englisch gehaltenen Vortrag entstammen Notizen bzw. meinem Gedächtnis.
Weitere Artikel und Blogeinträge: Standard, Ö1, Joachim Riedl in der Zeit über die österreichische Medienlandschaft und ein Interview mit Nick Davies; DoggX Blog; Herrn Bs Blog
* Einige angesprochene Punkte im staccato: Auf die Frage wo der Journalismus in 10 Jahren stehen wird, gab es unterschiedliche Antworten, manche eher pessimistisch (Wolf, Davies) oder vorsichtig optimistisch (Riedl). Armin Wolf betonte die Wichtigkeit öffentlich-rechtlicher Institutionen, die Bedeutung privater Stiftungen (siehe Guardian) wird nur kurz erwähnt, könnte aber eine wichtige Rolle spielen. Staatliche Zeitungen werden von einigen als eine letzte Möglichkeit Qualitätsjournalismus zu sichern, angesehen, eine Möglichkeit die Riedl verwirft, weil er den Staat hier für nicht kompetent hält, und staatliche Interessen nicht notwendiger Weise im Einklang mit kritisch-qualitativem Journalismus sieht. Es wird – laut Riedl – auch weiterhin Qualität geben, eventuell aber teurer (und inklusive journalistischer Verbesserungen). Athanasiadis beschreibt, die von Davies vielleicht etwas vernachlässigte Mitschuld der Journalisten, indem er darauf insistiert, dass man nur nachprüfen hätte müssen, das sei ja Aufgabe der Journalisten, und folglich hätte Davies sich sein Buch eigentlich sparen können. Er lässt dabei aber völlig außer Acht, dass die dargelegten strukturellen Zwänge verhindern, dass Journalisten sich wie früher ihren Aufgaben widmen können. Riedl merkt an, das vieles von dem Davies spricht, nicht neu ist, und am System liegt. Wolf stellt fest, dass es kein funktionierendes Gesellschaftsmodell gäbe, und spricht von einer Deprofessionalisierung des Journalismus, und einer Professionalisierung der PR, aber Athanasiadis behält hier recht: Ein wachsamer Journalist darf nicht auf PR hereinfallen.
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