Menschenrechte sind wie alle rechtlichen, moralischen und politischen Wertvorstellungen relativ, da sie sich auf bestimmte Annahmen stützen – geht man von anderen aus, kann man zu anderen Schlüssen gelangen. Das zeigt sich auch darin, dass die Menschenrechte im Lauf ihrer Geschichte immer wieder (Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten; Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789) deklariert werden mussten, sie waren nicht unmittelbar evident oder wurden nicht als dies akzeptiert. Menschenrechte sind – wie viele andere Dinge auch – eine Konstruktion: rechtlich, politisch, moralisch und kulturell. Von Seiten ihrer Gegner wird das gerne angeführt, um sich ihrem universalistischen Anspruch zu entziehen: Sie gelten als relative Werte, die in jedem Land abhängig von der Geschichte und kulturellen Entwicklung zu definieren seien. (Quelle). Diese Relativität der Menschenrechte ist – ganz im Gegenteil zu weit verbreiteten Ansichten – ihre Stärke, nicht ihre Schwäche.
Von Menschenrechten zu sprechen, hat nur Sinn, wenn man von interagierenden Menschen, sozialen Systemen, oder lockeren Agglomerationen ausgeht; für isoliert von einander lebende Menschen sind Rechte bedeutungslos. Entscheidend ist daher der soziale Kontext, die Gesellschaft, ihre Kultur und ihre Wertvorstellungen.
Dass man Menschenrechte auch anders definieren kann, ist zunächst richtig. Die Gegenfrage muss lauten wer, unter welcher Definitionshoheit über sie befinden kann und darf – die Frage nach der Legitimation. Menschenrechte werden im allgemeinen aus zwei Gründen kritisiert: a) weil sie Machtinteressen (Macht ist die Zurückweisung von Lebensinteressen einzelner Menschen, ohne ihre Zustimmung) widersprechen und b) weil sie als „Werteimperialismus“ empfunden werden, und damit (treffender) als Zurückweisung der Kultur anderer, als Ausübung von Macht. b) dient oft der Verdeckung von a), was aber nicht ausschließt, dass b) ein ehrlich angesprochenes Problem sein kann.
Die Artikulation von Menschenrechten kann folglich in Konflikt mit Macht und/oder Kultur geraten. Dem letzteren Fall muss man mit aller Ehrlichkeit des Diskurses begegnen, wenn man seine Überzeugungen nicht aufgeben will, und ersterer am besten damit, dass man für die Selbstbestimmung der Menschen kämpft. Es geht nicht darum, dass Diktatoren gezwungen werden die Rechte für die sich andere Gesellschaften entschlossen haben, zu akzeptieren, sondern es geht darum, dass alle die Möglichkeit der Selbstbestimmung auf fundamentaler Ebene ergreifen können. Entschließen sie sich für eine andere gesellschaftliche Konzeptionen mit anders definierten Rechten, oder für gar keine, müssen wir das akzeptieren, solange es aus freien Stücken geschieht.
Der Kampf für die Freiheit von Menschen*, muss zugleich von der Zurückweisung der Machtergreifung über sie gekennzeichnet sein; die Verfechter der Menschenrechte stellen auf diesem Wege klar, dass ihr Vorgehen im Einklang mit ihren eigenen Werten steht, und diese nicht von anderen Interessen überlagert sind. Wenn der Mensch zu aller erst frei ist, dann bedürfen die Menschenrechte der Zustimmung des Einzelnen, und damit ebendieser Freiheit. Diese Zustimmung kann aber nur durch Machtverzicht der jeweiligen Machthaber sichergestellt werden, und dieser Machtverzicht darf herbeigeführt werden, so er nicht freiwillig erfolgt, und er darf als Ziel nur die Herstellung der Freiheit der Einzelnen haben.
Freiheit ist eine Konstruktion im eingangs angesprochenen Sinn. Sie auf andere anzuwenden kann problematisch sein, selbst wenn sie bleibt, was sie ist, nämlich Machtverzicht, denn ihre Herstellung und ihr Erhalt können Machtausübung bedeuten. Da Freiheit aber Veränderung mit einschließt, kann dieser Zustand verbessert werden, und zwar durch die Betroffenen selbst. Freiheit ist Ziel und Anfang zugleich, sie eröffnet Möglichkeiten, aber sie konkretisiert diese nicht – sie müssen erst angestoßen werden. Nicht zu letzt ist diese Konstruktion von Freiheit als agnostisch und metaphysikkritisch zu verstehen.
*Wenn die Deutung der Demonstrationen im Iran als Ruf nach Freiheit richtig sein sollte, dann hieße es analog zu dem oben Festgestellten, dass die Unterstützung der Demonstranten nur bis zum Erringen von Freiheit und Selbstbestimmung gehen darf.
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Macht ist die Zurückweisung von Lebensinteressen einzelner Menschen, ohne ihre Zustimmung.
Interessante Definition, die ich so nicht teile. Ich glaube, dass es einfacher ist: Macht ist Möglichkeit, seine Interessen durchzusetzen. Diese Definition iost zunächst einmal wertfrei.
In demokratisch organisierten Gesellschaften ist diese Macht zeitlich begrenzt und auch nur kontrolliert möglich. Ich halte Macht für notwendig – auch und gerade in freiheitlichen Gesellschaften; die „Machtlosigkeit“ führt letztlich zur Anarchie (eine besonders ubtile Form von Macht!).
Pejorativ wird Macht in dem Begriff des „Machthabers“ verwendet. Damit meinen wir in der Regel einen nicht demokratisch legitimierten (und meist auch nicht kontrollierten) Apparat (oder sogar Person), die ihre Interessen anderen oktroyiert.
Im Diskurs um Menschenrechte spielt die Machtfrage eine nicht unwesentliche Rolle, wie Du schreibst. Im Entspannungsprozess der 1970er Jahre wurde völkerrechtlich das Prinzip der gegenseitigen Nichteinmischung festgeschrieben. Ein auch heute noch beliebtes „Argument“, welches immer dann Verwendung findet, wenn sich „Machthaber“ eine Einmischung von aussen verbeten.
Zu unterscheiden ist also, wann es sich um eine Einmischung, d. h. um eine Art kulturellen Imperialismus handelt und wann man sich legitim in eine Situation einzumischen hat. Letztere Position ist nach Bush erheblich ins Wanken gekommen. Im Prinzip war Bushs Bekehrungsprogramm ja nicht so weit von dem der Universalisten entfernt, die ihre Menschenrechtsvorstellungen überall verwirklicht sehen möchten.
Es ist ein grosser Irrtum des Westens zu glauben, dass man allen Gesellschaften nur spezielle demokratisch-institutionelle Hüllen überstülpen muss und dann die Situation dort schon automatisch besser werde. Man sieht im Fall von Afghanistan, dass das nicht funktioniert. In anderen Ländern werden speziell antidemokratische Parteien demokratisch gewählt – das Verhalten des Westens ist hier dann exakt das Gegenteil dessen, was man selber in Sonntagsreden fordert.
Menschenrechte sind für mich dahingehend problematisch, wo sie sich sofort in politischen Institutionalismus sozusagen „verzetteln“. Hier die Grenzen zu ziehen ist schwierig und problematisch.
Noch kurz was zum Iran: Der Westen übersieht häufig, dass auch die Opposition im Iran nicht automatisch ein anderes System möchte (dies vielleicht irgendwann später). Hier wird das institutionelle Scheitern der Wahl an sich angegriffen. Das hieraus eine Legitimationskrise des Systems selber entsteht, ist logisch. Hierin sind sich alle Oppositionsgruppen noch einig. Schwieriger dürfte es werden, wenn es zu umfassenden Veränderungen kommen sollte (was auf Dauer unvermeidlich ist). Die Opposition eint noch der Gegner – im Aufbau von Neuem dürfte (wie so oft) grosse Uneinigkeit bestehen. Das Problem wäre dann, diese divergierenden Interessen institutionell zu bündeln, wobei diese Institutionen vorher Legitimität benötigen (was bspw. im Fall von Afghanistan nicht der Fall ist; Karsai ist ein Bürgermeister von Kabul, mehr nicht).
Ich habe Macht für mich einmal wie folgt definiert: Macht ist Möglichkeit zur Veränderung. Das ist ähnlich neutral wie: Macht ist Möglichkeit, seine Interessen durchzusetzen. Meine obige Definition ist nur in einem negativen Kontext sinnvoll (d.h. dort wo Macht tatsächlich gegen Menschen gerichtet ist), und damit nicht allgemein gültig.
So besehen, ist Macht notwendig um handlungsfähig zu sein bzw. zu bleiben, und letztlich stellt sich die Frage nach der Kontrolle bzw. der Beschränkung von Macht (womit wir dann auch wieder zur Freiheit kommen).
Später hoffentlich mehr.
Vielleicht ein zwei Zeilen zum Definitionsversuch: Macht ist Möglichkeit zur Veränderung. Das ist ähnlich neutral wie: Macht ist Möglichkeit, seine Interessen durchzusetzen.
Das Paradoxe jeder vermeintlich neutralen Kurzdefinition ist ihre implizite Wertehaltung. Sowohl die Idee der „Möglichkeit“ als auch die der „Veränderung“ gründen auf die Vorstellung und Ausübung einer „Wahl“ zwischen (a) und (b). Was, wenn einer Kultur diese Dynamik fremd ist; wenn sie sich zyklisch, und nicht linear orientiert; wenn sie also keine Vorstellung von „Fortschritt“ hat und gar keine „äußerlichen“, soll heißen: nach Außen gerichteten Möglichkeiten zur Veränderung in „demokratischem Umfang“ braucht.
Was ich andeuten möchte: Schlussendlich bleibt immer ein Aufzwingen, eine Pflicht zum Erlernen der Wahl für denjenigen, der sich bisher weder kennt noch benötigt.
Ich glaube, dass zyklisch denkende Kulturen den Begriff Wahl durchaus kennen. Der Buddhismus beispielsweise ist im Grunde ein Versuch aus dem Zyklus der Wiedergeburt auszubrechen (das ist jetzt sehr oberflächlich, und ohne verschiedene Schulen oder Strömungen zu betrachten).
Das Aufzwingen lässt sich vielleicht wie folgt abmildern: Menschen die leiden, die augenscheinlich mit ihrer Situation unzufrieden sind, sie als nicht lebenswert, oder dringend verbesserungswürdig empfinden, könnte doch trotzdem – mit aller Vorsicht – geholfen werden?
Jemand der nicht weiß was eine Wahl ist und sie auch nicht benötigt, also zufrieden ist (unzufrieden sein und nicht wissen was wählen bedeutet, ist m.E. nicht möglich), dem muss man es auch nicht nahe legen, ganz im Gegenteil.
Macht hat zunächst einmal nichts mit Dynamik oder Statik zu tun. Wir betrachten eine statische Macht zwar als diktatorisch, weil sie nicht permanenter Legitimation unterzogen wird, aber das ist eine subjektive Feststellung.
Moderne Staaten sehen Legitimation zur Macht als zeitlich begrenzte Delegation. Dafür gibt es u. a. Wahlen, die diese Legitimation erneuern oder verändern. Macht ist für ein politisches Gemeinwesen essentiell; eine „machtlose“ Gesellschaft wäre nicht denkbar, denn selbst die Anarchie führt das anarchische als Machtprinzip wieder ein.
Demokratie ist Macht auf Zeit – notwendiges, aber unausweichliches Übel.
Menschen die leiden, die augenscheinlich mit ihrer Situation unzufrieden sind, sie als nicht lebenswert, oder dringend verbesserungswürdig empfinden, könnte doch trotzdem – mit aller Vorsicht – geholfen werden?
Natürlich darf – und muss! – geholfen werden. Weiter unten zitierst Du Popper mit den Worten: Wir müssen für den Frieden Kriege führen. Gerade vor dem Erfahrungshintergrund des WWII sind ähnlich lautende Forderungen oft vorgetragen worden; sie haben sich in der Politik unter der euphemistischen Bezeichnung „demokratische Kriege“ etabliert, bleiben aber reine Fassadenarbeit. Es wird nicht geholfen und gesichert, wenn keine Eigeninteresse die „Investition“ (ganz bewusst so formuliert!) von undin Material und Menschenleben verbürgt …
Es wird nicht geholfen und gesichert, wenn keine Eigeninteresse die „Investition“ (ganz bewusst so formuliert!) von undin Material und Menschenleben verbürgt …
Ich weiß was Du meinst, aber einerseits kann ich verstehen, dass Eigeninteressen berücksichtigt werden (von Staaten interessenlose Hilfe zu erwarten ist wohl utopisch), und zudem wahrscheinlich besser als gar nichts – natürlich keine Rechtfertigung…
Na, ich weiß nicht. So pauschales Abwinken von unserer beider Seiten macht ohnehin schon viel zu viele Fässer auf. Tortzdem: Die Beurteilung, ob „Hilfestellungen“ in Afghanistan, im Irak, in Zentralamerika langfristige Besserung bringen, fallen für mich inzwischen nur noch negativ aus. Ohne Frage werden durch westliche Präsenz Veränderungen angestoßen, gemeinhin als „Öffnung“ in unsere Richtung und „Abkehr“ von verkrusteten Strukturen interpretiert. Aber es bleiben für mich Veränderungen, keine Verbesserungen. Im großen und ganzen globalen Bild sehe ich nicht, wo westeuropäische Staaten in der Vergangenheit wohltätig gewesen sind, ohne dabei gleichzeitig erhebliche Forderungen zu stellen, die jede positive Entwicklung nicht in den Schatten gestellt hätten. Die langfristige Perspektive zeichnet ein ziemlich eindeutiges, düsteres Portrait unseres „humanistischen“ Engagements.
Ich habe gerade nicht die Zeit dafür, aber es wäre interessant das an Hand ausgewählter Beispiele einmal zu recherchieren – ansonsten bleiben wir bei Behauptungen oder Vermutungen stehen.
Weder in Afghanistan noch im Irak lassen sich langfristige Verbesserungen derzeit beurteilen. Man müsste etwas weiter zurück liegende „Fälle“ aufgreifen.
Wie sähen für Dich (dauerhafte) Verbesserungen aus?
Ich überlege gerade worin sich Liberalismus und Anarchismus unterscheiden. Wenn letzterer sich mit dem Libertarismus deckt, dann wohl die unterschiedliche Betonung von Freiheit (und damit der Ausübung von Macht). Da es aber keine Ordnung und keine Gesellschaft ohne Machtausübung geben kann, muss es – wie Du schon schriebst, subtil passieren – oder aber es setzt sich der Stärkere durch (davon auszugehen, dass alle per se gerecht miteinander umgehen, d.h. dass es keinen Ordnungsrahmen zu geben braucht, ist wohl illusorisch).
Es stimmt, Macht ist immer mit dem Ausübenden verknüpft, was man sich bewusst machen sollte, aber notwendig für eine Beurteilung ist. Interessant finde ich, dass einige (Hoppe etwa), den demokratischen Staat ähnlich sehen wie Demokraten einen nicht legitimierten Herrscher, was man nicht ganz von der Hand weisen kann (tatsächlich ist es eigentlich nicht möglich auf einem Flecken Land eine andere Art von Gesellschaft zu gründen).
Nichteinmischung bzw. souveräne Staaten: Das verhält sich analog zu Auseinandersetzungen die man in der U-Bahn oder auf der Straße beobachten kann, und die in Handgreiflichkeiten münden. Greift man ein (auf Grund bestimmter Wertvorstellungen [z.B. Schutz von körperlich Schwächeren]), wenn man Zeuge wird oder schaut man weg, und hofft, dass alles seine Regelung finden wird? Bzw. wie geht man damit um, dass man ev. selbst Gewalt anwenden muss (Popper in „Alles Leben ist Problemlösen“: Im überholten Sinne pazifistisch vorzugehen wäre Unsinn. Wir müssen für den Frieden Kriege führen. Und selbstverständlich in der am wenigsten grausamen Form [im Kontext der Verhinderung einer Verbreitung von Kernwaffen, und deren Missbrauch von Diktatoren wie Saddam Hussein])? Nach Bush, wie Du richtig schreibst, ist das noch viel problematischer geworden.
Politische Strukturen müssen wachsen und Tradition werden; nur auf diese Art und Weise können sie verankert werden, oder sich wandeln. Das gilt besonders dann, wenn bestehende Traditionen als defizitär erkannt werden (wie etwa im Iran). Was am Ende herauskommt ist nicht gänzlich absehbar, und man sollte sich davor hüten es bestimmen zu wollen – auf diese Weise spricht man den Handelnden (also den Unzufriedenen) Erkenntnis- und Selbstbestimmungsfähigkeiten ab.
Legitimation ist – auch wenn das zunächst suspekt erscheint – auch eine Frage von Bewährung, und erfolgt (zumindest teilweise) im Nachhinein.
Das Eingreifen bei einem Übergriff in der U-Bahn oder auf der Strasse ist dadurch gedeckt, dass wir uns in einem gemeinsamen „Sozialraum“ befinden, der voraussetzt, dass es einen Konsens über allgemeine Werte und Regeln gibt. Streng genommen gilt das auch für Staaten, die sich bspw. der UN-Charta verpflichtet haben und Menschenrechte anerkannt haben. Das Problem ist, dass es hierzu keine klaren, sozusagen überstaatlichen Strukturen gibt, die Sanktionen verhängen und durchsetzen können. So bleiben letztlich nur Willenserklärungen.
Das Problem der Nichteinmischung stellt sich allerdings in einem anderen Zusammenhang auch bei uns: Was, wenn wir Zeuge werden, wie ein Mann eine Frau in seiner Wohnung schlägt (oder umgekehrt). Greifen wir ein, weil wir es zufällig mitbekommen haben oder halten wir es vielleicht für eine besondere Sexualtechnik, die erwünscht ist? Zeigen wir es an, gelten wir evtl. als Spießer. Zeigen wir es nicht an, so heisst es irgendwann, wie so etwas möglich sein konnte. Oder man bekommt mit, wie ein Kind immer magerer wird. Zeigen wir es an (Verwahrlosung) und setzen uns dem Vorwurf der Einmischung in die Erziehung aus oder vertrauen wir auf „andere“ bzw. die Behörden, denen wir die Aufsicht delegiert haben?
Meine Erfahrung ist, dass das Argument der Nichteinmischung sowohl von Privatpersonen als auch von Staatsmachten immer das letzte „Argument“ war, um von eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Natürlich ist es legitim, die Menschen in Darfur von Vertreibungen zu retten; die Mittel hierfür sind m. E. nur die falschen, weil das Staatenprinzip der UN über dem Prinzip der Menschenrechte angesiedelt ist. D. h. in diesem Fall: Die territoriale Integrität des Sudan steht über den Menschenrechten. Im übrigen würde sich keine halbwegs neutrale Macht finden, die eingreifen kann und dauerhaft Frieden schaffen kann, ohne nicht als Besatzungsmacht zu gelten. Und: Was soll stattdessen im Land, das sich Sudan nennt, implementiert werden? Eine westliche Demokratie? Ein buddhistischer Staat? Ein islamischer Gottesstaat? Eine konstitutionelle, säkulare Monarchie? Eine Militärdiktatur, die Ordnung schafft und erhält? Wer bestimmt, wann eingegriffen wird und wann nicht?
Letztlich glaube ich nicht an die Universalität der menschlichen sozialen und politischen Entwürfe. Zwar wollen alle frei, unbeschwert und friedlich leben – aber alleine die Ideen, wie dies zu erreichen ist, gehen u. U. extrem auseiander. Wir können uns eigentlich nur annähern, in dem wir regionale Institutionen/Staatenbünde schaffen, die ihre Werte definieren und andere Wertvorstellungen anderer Regionen tolerieren und nicht versuchen, aktiv oder passiv zu beeinflussen. Ein Beispiel dafür wäre die EU. Vielleicht dann irgendwann eine Organisation westafrikanischer Staaten. Und fernöstliche Länder, usw. Diese Staatenbünde organisieren sich sowohl „intern“ als auch aussenpolitisch, extern. Früher oder später werden sie für die jeweils andere „Kultur“ durchlässiger (und sei es aufgrund ökonomischer Notwendigkeiten). Dann wäre es möglich, dass sich die teilweise divergierenden Systeme mindestens teilweise annähern und ggf. gegenseitig beeinflussen.
Internationale Rechtsprechung gibt es, nur eine Art Exekutive, die Urteile durchsetzt fehlt, ja, und ich glaube mit gutem Grund, denn letztlich müsste man einen Staat mit Gewalt zwingen, was in letzter Konsequenz Krieg bedeuten kann, den man eigentlich verhindern will. Das Problem kennen wir im Grunde aus der EU: Wenn sich ein Staat querlegt, dann kann man ihn nur mit Zugeständnissen (auf die er es ohnehin abgesehen hat) zur gemeinsamen Sicht „bekehren“.
Nichteinmischung: Was man machen kann (zumindest bei Nachbarn), ist ein persönliches Gespräch suchen, und zu klären versuchen, was los ist, auch wenn das alles andere als einfach ist.
Im übrigen würde sich keine halbwegs neutrale Macht finden, die eingreifen kann und dauerhaft Frieden schaffen kann, ohne nicht als Besatzungsmacht zu gelten.
Was vielleicht funktioniert sind Staaten, die von den Betroffenen akzeptiert werden, weil man mit ihnen aus historischen oder religiösen Gründen nahe steht oder befreundet ist.
Was soll stattdessen im Land, das sich Sudan nennt, implementiert werden?
Eine nicht oder fast nicht lösbare Frage: In jedem Fall muss es von den Menschen akzeptiert werden, ja mehr noch, sie müssen sich damit identifizieren können. Und am besten von ihnen mitentwickelt werden. Aber in der Praxis…
Staatenbünde: Zwei Probleme die ich sehe: a) Sind ihre Strukturen tatsächlich so gestaltet, dass man rechtsbrechende Staaten wirkungsvoll sanktionieren kann, oder ist man nicht immer auch auf ihr Wohlwollen angewiesen. b) Die ihnen innewohnende Tendenz zur An- und Abgleichung. Hinsichtlich der EU schlägt sich das in den diversen Antidiskriminierungsparagraphen oder in dem Vorhaben die Leugnung von Völkermord strafbar zu machen, nieder (nicht, dass das nicht verständlich wäre, aber es geht viel zu weit, und widerspricht im Grunde demokratischen Prinzipien).