Münder auf!

Ein sehr schönes Plädoyer von Günther Grass für mündige Bürger und Demokratie (auch wenn sich auf der Mikroebene ein wenig Widerspruch rührt).

3 Antworten zu “Münder auf!

  1. Gregor Keuschnig 24. Juli 2009 um 10:07 pm

    Grass reiht sich in die Grundgestz-Verächter nahtlos ein und spricht was die angebliche Anbstimmungspflicht zu einer neuen Verfassung angeht, schlichtweg die Unwahrheit. Er bedient damit eine gern verbreitet Legende, die dadurch nicht wahrer wird, dass sie permanent wiederholt wird (und zwar von links und von rechts).

    Artikel 146 hiess bis 1990: Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist. Eine zwingende Vorschrift zur Vorlage eine neuen Verfassung ist hieraus nicht abzuleiten. Aus Gründen der politischen Opportunität (die ich persönlich als falsch empfinde) legte man keine neue Verfassung vor und „aktivierte“ Artikel 23, der damals lautete Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiet der Länder Baden, Bayern,
    Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen,
    Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein,
    Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.
    Grass nennt dies „Anschluss“, wobei er bewusst das Naziwort in Bezug zu Österreich verwendet; richtigerweise sagt man Beitritt.

    Grass‘ Interpretation ist nicht nur falsch, sondern geschichtsklitternd. Auf den falschen Hinweis der Wortbedeutung von „mündig“ weist ja bereits ein Kommentator hin.

    • metepsilonema 26. Juli 2009 um 7:42 pm

      Danke für Deine Anmerkungen.

      Im Kern halte ich das vorgetragene Anliegen für richtig und wichtig: Doch darauf wird es ankommen: auch bei Gegenwind den Mund aufzumachen, gegen den Wind laut »Ja« oder »Nein« zu sagen und dieses »Ja« oder »Nein« zu begründen. Natürlich ist das nicht neu, und auch nicht sonderlich originell. Aber wichtig. Mein sehr schön ist daher etwas hoch gegriffen.

      Explizit sagt Grass m.E. nicht, dass „mündig“ „Mund aufmachen“ bedeutet hat, oder seine Herkunft damit in Verbindung steht – seine Formulierung ist nicht eindeutig (das „es“ kann die heutige Bedeutung genauso im Sinne haben, und das „Mund aufmachen“ ist ja eine Folgerung aus dem „verantwortlich werden“; ich gebe aber zu, dass man solcherlei Uneindeutigkeiten vermeiden sollte, wenn man bescheid weiß): Mündig, ein schönes, altdeutsches Wort. Es bedeutet: verantwortlich werden und also den Mund aufmachen.

      Über Nazivokabel haben wir schon öfter diskutiert, ich weiß nicht in welcher Intention Grass es verwendet hat, aber generell wäre es schön, wenn man bestimmte Wörter oder Formulierungen nicht nur auf ihren braunen Bedeutungsbereich reduziert (das ist kein Vorwurf, und man kann Konnotationen auch nicht vorschreiben).

      • Gregor Keuschnig 27. Juli 2009 um 12:18 pm

        Der Beitritt der Länder der ehemaligen DDR über Artikel 23 Grundgesetz nennt er „Anschluss“. Er provoziert damit bewusst den Klang des „Anschlusses“ Österreichs durch die Nationalsozialisten. Eine solche Gleichsetzung ist schlichtweg Dummheit. Und ganz hyperpolitisch korrekte nennen es „Verharmlosung“ des Nationalsozialismus.

        Dass „mündig“ bedeutet, „den Mund aufmachen“ ist eben Unsinn; er liest das so, was sein gutes Recht ist, aber es bleibt dadurch trotzdem falsch. Mindestens von einem Literaturnobelpreisträger erwarte ich mehr. AUsserdem ist nicht jedes „nein“ per se nur der Negation wegen gut. Das müsste man eigentlich in über 80 Jahren Lebenserfahrung schon einmal mitbekommen haben. Die „Begründung“, die er reklamiert, liefert er selber ja in seinen politischen Äusserungen kaum mehr nach, stattdessen poltert er nur noch herum und verkennt historische Wahrheiten, weil sie ihm nicht ins Konzept passen.

        Mag sein, dass ich bei Grass etwas angefressen reagiere. Aber dieser Mensch ist für mich nur noch eine politische Hülle, von jeglicher ernsthafter Diskussion weit entfernt. Er taugt auch nicht mehr als Vorbild. Seine Verdienste um die Bundesrepublik sind unzweifelhaft – aber inzwischen geriert er sich nur noch als drittklassiger Narr, der auch noch stolz auf seine reduktionistische Sicht der Dinge ist. Ein armer, alter Mann. (Und am Rande erwähnt: Wenn Du oder ich einen solchen „Text“ veröffentlichen würde – man würde uns den um die Ohren hauen; und zwar mit Recht.)

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