Die Besetzer laden zu einer Führung. Freitag, um 17:30. Treffpunkt: Arkadenhof der Universität Wien. Mittlerweile ist es fünf Minuten nach 19 Uhr, und ich sitze noch immer in mitten meiner Arbeit. Ich klicke auf antworten, bitte um einen Sondertermin, und schreibe: So das Wort „objektiv“ ernst gemeint ist, würde ich mir gerne ein Bild machen. Warum verschickt man solche Emails morgens um vier?
Wir, Student und Doktorand, lavierend zwischen Du und Sie, vereinbaren einen Termin für Montag Vormittag, verwerfen ihn wegen Übernächtigung, und einigen uns schließlich auf Donnerstag. Ich blicke dem Treffen mit einer Mischung aus Spannung und Interesse entgegen, wie ein Beobachter, der ein Stück weit entfernt steht.
Dumpfe Rhythmen hallen durch die Unterführung. Sie kommen von oben, und fließen durch die weite, ovalförmige Öffnung in der Mitte, eine Ankündigung, verschwommen und groß. Alles schwingt und vibriert.
Es zieht mich die Rolltreppe aufwärts, ich fühle etwas Dunkles, Unheimliches. Bewegung, Gemeinschaft. Während ich meinen Weg durch das Gedränge vor dem Hauptgebäude der Universität bahne, gewahre ich ein Verlangen mich den demonstrierenden Studenten anzuschließen. Ich kämpfe es nieder, eile vorbei an Fahnen, roten und schwarzen, an Transparenten und jungen Menschen, die den autofreien Ring queren, über die schmalen Rasenflächen am Fahrbahnrand steigen und sich der Menge anschließen. Blaulicht irrt durch die hereinbrechende Dunkelheit, ich stehe vor der Rampe und gehe hinauf.
In der Aula, beim Portier. Ich bin ein paar Minuten zu früh, warte und beobachte die das Gebäude verlassenden Menschen. Dann kommt er. Wir begrüßen einander, entscheiden uns ungezwungen und zugleich für das „Du“. Er ist etwas kleiner als ich, freundlich, und ich vernehme einen Akzent den ich nicht einordnen kann. Er heißt Ulrich**.
Neben dem Audimax wurden im Hauptgebäude der Universität noch zwei angrenzende Räume besetzt, und zu Volksküche und Pressestelle umgewandelt. Letztere ist unser erstes Ziel. Nach einigen Erklärungen entschuldigt sich mein Begleiter, da er kurz eine andere Angelegenheit verhandeln muss, und ich habe etwas Zeit mich umzusehen. Die Wände der Pressestelle sind mit Listen, Geboten, Hinweisen, Humorvollem und Gendergerechtem – das Meiste mit Lackstift auf Packpapier gekritzelt -, und einigen anderen Dingen behangen. Links von mir, in einer Ecke des Raumes, befindet sich hinter einem Sichtschutz eine Art Erste-Hilfe-Station. Davor steht ein Tisch – wohl eine Art Pressespiegel -, mit Ausgaben diverser Tageszeitungen, die man allerdings suchen muss, da sie unter Papier, Prospekten und Krimskrams begraben sind – irgendwo meine ich eine Ecke der „Wiener Zeitung“ und ein paar Lettern des „Kurier“ zu erspähen. Gegenüber liegt der It-Stützpunkt und vor ihm eine schillernde Versammlung von vertrocknetem Fladenbrot, Gewürzen, Papptellern, einem hohen Suppentopf, Löffeln, Kunststoffbechern, und Kartons, aus deren Mitte schüchtern zwei Blümchen in schlanken Vasen aufragen – all das über zwei Tische verteilt. Der Essbereich.
Die eigentliche Pressestelle, die den Hauptteil des Raumes besetzt, besteht aus Tischen, Standcomputern und Laptops, an denen alleine oder zu mehrt gearbeitet wird. An einem etwas weiter von mir entferntem Tisch spricht ein älterer Herr mit einer Studentin – vermutlich ein Interview. Alles erinnert etwas an eine studentische Wohngemeinschaft, wirkt improvisiert und routiniert zugleich. Funktionalität statt Ästhetik, Ordnung nur dort, wo unbedingt notwendig, aber wer hätte anderes erwartet, und wer würde es nicht ebenso tun? Ulrich erklärt mir, dass die chaotischen Anfangszustände überwunden wären, und es etwa heute, obwohl Protesttag, geordnet zugehe. In der Tat: Außer ein paar ein- und ausgehenden Personen ist alles ruhig und entspannt. Selbstorganisation schießt es mir durch den Kopf.
Erst ein paar Momente später, wir betreten gerade das Audimax, erkenne ich die Unzulänglichkeit des Vergleichs. Wir gehen vorbei an der „Bühne“, und den spärlich besetzten Sitzreihen. Ich hatte es geräumiger in Erinnerung, war aber nur äußerst selten hier gewesen. Die Wände sind mit Transparenten, Solidaritätsbekundungen, Parolen u.a. tapeziert, es wirkt unaufgeräumt, aber nicht dreckig. Entscheidend der Symbolwert. Anfangs glaubte man an die Funktionsweise des Plenum, wie an die eines Parlaments, aber hier wie dort spielen sich die interessanten Dinge in den Arbeitsgruppen bzw. den Ausschüssen ab. Wichtige Dinge aber werden nach wie vor im Plenum diskutiert und beschlossen. Vorträge und Diskussionsveranstaltungen, Parties und Filmvorführungen wurden und werden, wie ich bereits wusste, per livestream ins Internet übertragen, und können über die Protesthompage aufgerufen werden.
Wir bleiben nicht all zu lange, und nehmen den gegenüberliegenden Ausgang. Mir fällt mir ein, dass ich unbedingt die Legitimation der Besetzer, die ihre Bewegung als Basisdemokratie verstehen, ansprechen will. Die gewählte Studentenvertretung, die österreichische Hochschülerschaft, unterstützt die Proteste zwar, aber sie spielt weder eine tragende Rolle, noch war sie initiativ daran beteiligt. Die Proteste spiegeln den Widerspruch zwischen der Notwendigkeit einer studentischen Vertretung, und dem Desinteresse an einer solchen (nur etwa 30% der Studenten nahmen an den Wahlen teil) wieder. Ob die jetzige Form eine Lösung sein kann? Ich habe meine Zweifel.
Die Volksküche, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, in einem Garderobenraum untergebracht, erinnert vor allem wegen der Dimensionen ihrer Töpfe und Pfannen an eine Großküche, der auch die Mengen der gerade umgesetzten Kartoffeln und Zwiebeln nahe kommen. Ein Teil der Besetzer kümmert sich um die Verpflegung der übrigen: Arbeits- und Funktionsteilung. Finanziert wird sie durch Spenden der Besetzer (und Sympathisanten, vermute ich) selbst, Essen wird aber auch an Obdachlose und andere ausgegeben. Mein Begleiter nimmt Zigarettenpapier für sich und seine Kollegen, die den Hörsaal C1 besetzt halten, erkundigt sich nach Süßigkeiten, und erhält zu seinem Bedauern eine negative Antwort. Mangelware. Letzte Woche bekamen wir Mannerschnitten und Dragee Keksi.
Wir stehen kurz vor dem Infopoint (zwei Tische und ein Pc), der als zentrale Anlaufstelle diente, bevor man den Protest digitalisierte, und damit in effizientere organisatorische Bahnen lenkte, und verlassen das Gebäude durch den Hinterausgang. Unser Ziel: Der Hörsaal C1 auf dem nahe gelegenen Campus, dem Gelände des alten Allgemeinen Krankenhauses. Der Boden ist nass, und das dürre Laub macht ihn rutschig. Nun erfahre ich, warum er besetzt wurde und, so mutmaße ich, trotz Vermittlung der Hochschülerschaft und abgeschalteter Heizungen, nicht aufgegeben wurde. Er dient den verschiedensten Arbeitsgruppen innerhalb der Bewegung – ich höre dieses Wort aus dem Mund meines Begleiters zum ersten Mal -, als Ort der Versammlung, und zwar nicht der Saal selbst (der anderwertig genutzt wird), sondern die ihn umgebenden Flure, die mit Sitzgelegenheiten und Sofas ausgestattet sind: Arbeits- und Diskussionsbereiche für Kleingruppen.
Ulrich erzählt, dass er sich innerhalb der Arbeitsgruppen wohler fühlt, als in den Diskussionen um die Erstellung eines Forderungskataloges, da diese zu stark politisiert werden, obwohl er die immense Arbeit und die Schwierigkeiten einen gemeinsamen Nenner zu finden verstehe, und die Bemühungen grundsätzlich gutheiße. Die öffentliche Wahrnehmung, zumindest in Teilen, dürfte hinsichtlich der Homogenität der Proteste anders sein, etwa dahingehend, dass er sich ausschließlich aus Linkslinken und Che Guevara Anhängern speist. Sie dürfte aber inhomogener sein, wenn gleich eine Entideologisierung mancher Forderungen*** einer weitgehenderen Unterstützung und Diskussion förderlich sein dürfte.
Der Hörsaal C1, von einer Art Glaskubus umgeben, fügt sich harmonisch in den historischen Hof. Auch hier ist nicht all zu viel los. Ich sehe die angesprochenen Sitzgruppen, ein Gitarre, vereinzelt Transparente, Tische und auch hier eine – allerdings wesentlich kleinere -, improvisierte Küche. Der Hörsaal selbst ist neuer und damit wesentlich freundlicher als das zuvor besuchte Audimax. Vor dem mit Papier überhäuften Rednerpult steht ein Tisch mit Frühstücksresten, und ich erfahre, dass man eine Art Morgensendung plant bzw. auf den Hörsaal beschränkt, bereits durchführt.
Breite, rote Hängematten, die während des Sommers den Bruno Kreisky Park zierten, dienen in den Fluren vor dem Hörsaal als Schlaf- und Ruhestätten. Romantisches Sehnen paart sich mit Behaglichkeit und Gemütlichkeit. Am Ende der Besichtigung setzen wir uns an den Infotisch, mein Begleiter klappt seinen Laptop auf, und erläutert mir die Anliegen seiner und anderer Arbeitsgruppen an Hand der u.a. dafür angelegten Wiki. Er versucht mir zu vermitteln, dass die Bewegung ein ernsthaftes Unterfangen ist, und ich glaube ihm das. Danach zeigt er mir Fotos vom Bad im Brunnen des Hofes, das als Protest gegen die Abschaltung von Heizung und Warmwasser durchgeführt wurde, und von denen ich eines bereits aus den Medien kenne. Jemand erkundigt sich nach Einkaufswünschen, und geht in den Supermarkt auf dem Campus, um Lebensmittel und Bier zu besorgen.
Ich verabschiede mich, bedanke mich für die Führung, die aufgewendete Zeit, und überlege meine Eindrücke beim Besuch einer Versammlung oder Arbeitsgruppe zu vertiefen.
Der Herbstluft umfängt mich, sie ist feucht und kühl. Als mir ein Windstoß ins Gesicht fährt, fällt mir ein, dass ich völlig darauf vergessen habe, meine dringendste Frage vorzubringen.
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* Auditorium maximum, größter Hörsaal der Universität Wien.
** Name geändert
*** Forderungen die direkt an die Universität Wien gerichtet sind.
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Eine fast literarische Reportage (insbesondere durch den letzten Satz).