Eine Assoziation zu Peter Handke

Vor einiger Zeit unterhielt ich mich, zum Abschluss meines Besuchs hin, mit einer Freundin über Peter Handke: Als ich aufbrechen wollte, drückte sie mir ein Büchlein, das sie zweimal besaß, in die Hand: „Falsche Bewegung“*. Ich bedankte mich, nahm das Buch mit, war aber etwas uneins darüber, was ich damit anfangen sollte:. Ein paar Tage später blätterte ich darin und stieß auf einen Dialog zwischen Wilhelm und dem Alten:

[…]

Wilhelm: „Glauben Sie, daß man schreiben kann, wenn alles Politische einem fremd geworden ist?“
Der Alte: „Ja. Wenn man beschreiben könnte, wie es zu dieser Fremdheit gekommen ist. Sie darf nur nicht als das Natürliche erscheinen.“
Wilhelm: „Da müßte ich ja die ganze Geschichte des Abendlandes erzählen.“
Der Alte: „Freilich.“
Wilhelm: „Eigentlich ist mir das Politische erst mit dem Schreiben unfaßbar geworden. Ich wollte politisch schreiben und merkte dabei, daß mir die Worte dafür fehlten. Das heißt, es gab schon Worte, aber die hatten wieder nichts mir zu tun. Ich hatte überhaupt kein Gefühl dabei. Das ist doch nicht von mir, dachte ich. Ich schrieb, wie vielleicht fortschrittliche Politiker reden, nur hilfloser, weil ich nicht handelte, und pointierter, aber aus Hilflosigkeit.“

[…]

Der Alte: „Das wäre doch ein Grund gewesen, politisch aktiv zu werden und mit dem Schreiben aufzuhören?“
Wilhelm: „Aber ich hatte doch gerade mit dem Schreiben gemerkt, daß ich meine Bedürfnisse eben nicht auf politische Weise formulieren konnte. Ich fand sie bis jetzt nie von einem Politiker geweckt, immer nur von den Poeten.“
Der Alte: „Was kümmern denn die Welt deine höchstpersönlichen Bedürfnisse?“
Wilhelm: „Höchstpersönliche Bedürfnisse hat ein jeder, und sie sind die eigentlichen. Für mich gibt es nur höchstpersönliche Bedürfnisse.“
Der Alte: „Aber sie sind unerfüllbar, im Gegensatz zu den Bedürfnissen, mit denen die Politik sich beschäftigt. Erfüllt werden sie nur im Schein der Poesie.“
Wilhelm: „Dieser Schein bedeutet aber doch die Hoffnung, daß sie erfüllbar sind — denn sonst würde es nicht einmal den Schein davon geben.“
Der Alte: „Wilhelm, laß dich nicht betrügen von deinem poetischen Weltgefühl.“
Wilhelm: „Wenn nur beide, das Poetische und das Politische, eins sein könnten.“
Der Alte: „Das wäre das Ende der Sehnsucht und das Ende der Welt.“

Ich musste sofort an Handkes „Rede“ bei der Beerdigung von Slobodan Milošević denken**, über die er selbst unsicher war und deren Beweggründe wohl kaum ein anderer verstanden hat, als einen Versuch dieses Einssein von Poetik und Politik zu erreichen.

——–

* Suhrkamp Verlag, 1975, S 51-52

** Siehe auch Lothar Struck, „Der mit seinem Jugoslawien“, Peter Handke im Spannungsfeld zwischen Literatur, Medien und Politik, Ille & Riemer, 2012, Kapitel 10.4

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4 Antworten zu “Eine Assoziation zu Peter Handke

  1. Mike Roloff 24. Juni 2013 um 6:06 am

    Handke und die Tagespolitik haben ja jahrelang nichts miteinander zu tun gehabt. Er hasste es doch wie die Politiker im Fernsehen gestikulierten, machten ihn uebel, wirklich uebel. Er griiff Grass seines SPD Eintretens wegen an. Nur als Yugoslavian anfing auseinander zu fallen,, engagierte er sich, und dann ziemllich konsquent bis jetzt wo er sich wohl lustig macht darueber, dass er ein Serbischer Nationalist geworden ist. http://handke-yugo.blogspot.com/2011/06/wandel-der-handke-rezeption-mit.html

    • metepsilonema 25. Juni 2013 um 10:04 pm

      Nun, dieses Nicht und dann doch, passt ja ganz gut zu dem obigen Zitat (falls eine autobiographische Deutung angemessen ist).

      • Mike Roloff 26. Juni 2013 um 3:36 am

        It’s a little more complicated than that, no? Handke was the only really prominent Western intellectual to come out against the vilification of the Serbs. This afforded him star treatment, not unlike his first appearance on the world stage in Princeton in 1966. The speech at the Milosevic funeral is on the same order – and none of these acts, exhibitionistic as they are, were committed in bad faith, or as pulblicity stunts their authenticity is vouchsafed by Handke’s pain, his temper explosions and the like. What Princeton, where writing, language was at stake, and Yugoslavia have in comman are matters of Handke’s identity, and also his equivocal relationship to Germany, his father and stepfather both having been German soldiers, and also Nazis.

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