Kategorie-Archiv: Erzählungen

Ein Winterspaziergang

Wenn ich alleine bin, beginnen die Dinge zu sprechen. Nur, wenn ich alleine bin und nicht nur sie. Es ist immer meine Stimme mit der sie sprechen, die sie sich leihen und doch ist in ihr immer etwas Anderes, Fremdes, das mir manchmal überdeutlich und manchmal nahezu unkenntlich entgegen tritt, selbst im Bekannten, im Alltäglichen noch. Ja, gerade in ihm.

Ich sprach die Sätze nach, lautlos, um sie mir zu merken, die plötzlich ungebeten und ohne jedes Wollen dagewesen waren, obwohl ich mein Notizheft und einen Bleistift eingesteckt hatte; ihretwegen war ich sogar noch einmal zurückgegangen, aber jetzt hatte ich sie vergessen, weggeschoben, wohl wegen der Kälte, denn es hatte zum ersten Mal in diesem Jahr einige Grad unter Null: Ein eisiger Wind, der meine Finger rasch klamm hätte werden lassen, trieb den Schnee in Böen die Straße entlang durch die dürren Büsche an ihrem Ende, die raschelten und schwirrten und dann in die Lichtkegel der Straßenlaternen hinein, als gelte es einen versäumten Tanz nachzuholen.

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Tempelhüpfen

Mit dem hereinbrechenden Frühjahr begann ich wieder aus dem Fenster meiner Wohnung, die im zweiten Stock eines kleinen Hauses in Favoriten, dem 10. Wiener Gemeindebezirk, lag, in den langgezogenen Innenhof hinunter zu schauen. Im Winter blieb der Hof eigenartig still und ich hielt mein Fenster geschlossen, da die kalte Luft durch die Spalte zwischen Fensterrahmen und Flügel zog, die ich mit Tüchern und Decken abzudichten suchte: Ich verfluchte beinahe täglich die Hausverwaltung, die stets vorgab, die offensichtlichsten Schäden reparieren zu lassen, die den Tischler vorbeischickte, um einen Kostenvoranschlag vorzunehmen, aber dann nichts mehr von sich hören ließ. Ich hüllte mich in dicke Decken, denn ich saß gerne neben dem Fenster und las, trotzdem der unter dem Fensterbrett hängende Heizkörper den Luftstrom kaum zu erwärmen vermochte.

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Spazieren und sehen

Als ob die Welt sich selbst, auf eine andere hin, überschritten hätte: Das fahle, gelb-orange Licht des hereinbrechenden Abends hatte sich dergestalt über die Dinge gelegt, dass sie mir als ein Anderes, als ein Näheres erschienen, als sie es sonst taten; die Gegenstände meines Wohnzimmers übten ein sanfte Anziehung aus, der ich nur selten gewahr wurde, eine Anziehung, die sie hervortreten ließ, deutlich, aber nicht übermächtig, so dass man ihnen hätte verfallen müssen: Dies war keineswegs auf einige der Einrichtungsstücke beschränkt, es lag nicht in deren Geschichtlichkeit oder deren Besonderheiten begründet, es waren unterschiedslos und gleichermaßen alle Dinge von den Veränderungen betroffen, man könnte auch sagen, dass die Gewichtung, die im Normalfall in meinem Inneren lag, nach außen hin verschoben worden war, nicht das Subjekt, also ich, sah in die Welt hinaus, sondern die Welt blickte, auch wenn es aberwitzig klingen mag, zu mir herein, auf eine Weise, die eine Ausgeglichenheit erzeugte und keine Wünsche offen ließ, außer eben jenem, hinauszugehen, mitten unter die Dinge und in die Natur hinein. Weiter auf Begleitschreiben.

Tage und Rechtfertigungen

Die roten Nester von Glut, die sich noch an den Firsten der Dächer und in den Spitzen der Pappeln gehalten und sich in das Gefieder der vorüber fliegenden Krähen gelegt hatten, verglommen: Dunkelgrau und glatt schoss der Fluss, an dessen, mit Pflastersteinen befestigten, Böschung ich stand, dahin, eine matte Fläche, die ich noch vor kurzem, langsam und zäh, wie Lava, mit Wirbeln und Strömungen, dahin fließen sah, silbern, irisierend in allen Abstufungen von Rot, Gelb und Orange, von einem Ausbruch her­rührend, weit, weit, entfernt: Ein Tag wie viele andere, verfiel und doch war er von einem Reichtum gewesen, wie man ihn selten gewinnt. Aus den Büschen und dem Wasser kroch bereits die Kühle und von der Erde stieg das Dunkel hoch, aber mein Wohlwollen blieb: Wie der Tag so die Nacht, dachte ich, setzte mich auf die Bank, die einige Schritte weit entfernt stand, zog die Beine an und schmiegte mich an die Lehne: Was sich so lange angedeutet und hingezogen hatte, war rasch vollbracht: Die Gleichförmigkeit der Schatten machte sich überall breit, jene andere Welt, mit ihren eigenen Gesetzen, dem Verlust von Klarheit und Form, dem Wechsel der Sinne und dem Wachen des ansonsten Schlafenden: Mit den letzten Strahlen des Lichts verfiel auch mein Staunen, das nie an die Wiederkehr des Gleichen gebunden war, die nur Teilnahmslosigkeit und Selbstverständlichkeit zur Folge hat: Mein Staunen hatte immer den einzelnen Erscheinungen und Wesen der Natur gegolten, die dadurch, jede für sich, aus ihr heraustraten und mich an etwas, das ich im Geschäft der Tage allzu leicht und gerne vergaß, erinnerten: Unverblümt sind sie in ihrem Wachsen, ihrem Reifen ohnehin, in ihrem Verfall noch und ihrer Wiederkehr: Unverblümt ist das Schöne, das sich verschwendet, weil es ist, ohne für, ohne wenn und ohne aber: Nicht selbstverständlich wie der Wechsel der Jahreszeiten oder eben jener von Tag und Nacht, nicht so wie das Seiende oder das Leben für denjenigen, der mitten in ihm aufwächst: Unverblümt ist ein Werk ohne Plan und Schöpfer, ohne Zutun überhaupt.

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Erzählungen und Labyrinthe

Sie schüttelte sich, fiebrig vor Lust, und tauchte ihren Löffel in den Cappuccino. Die Adern des milchgeschäumten Blattes zitterten, aber die Aufwallungen
blieben gering: Eine gemächliche, gleichförmige Bewegung.
Weiße Schlieren umflossen den Löffel, sie grinste, fuhr schneller vorwärts und schnitt das Blatt entzwei: Es löste sich, langsam, in milchbraunen Verflechtungen, nur seine Spitze blieb unberührt. Sie zog den Löffel heraus, legte ihn an ihre Lippen und klopfte mit Zunge und Schneidezähnen dagegen. Für einen Augenblick sah sie nachdenklich aus, obwohl sie sich längst entschieden hatte: Ein helles, lautes Lachen, dann wirbelte sie alles durcheinander, und trank.

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Gespräch mit einem Flötenspieler

Nach dem Ende eines Konzerts im letzten Winter, der so unerbittlich kalt gewesen und in dem mir die Musik wie ein unerwarteter Frühling erschienen war, begegnete ich an der Schwelle des Hauses einem Musiker und das wenige was ich über ihn weiß oder zu wissen meine, entnahm ich unserem Gespräch, das sich an unsere Begegnung anschloss und obwohl ich ihn nur über Umwege bedrängte, etwas von sich preiszugeben, wich er mir hartnäckig und beständig aus; ich vermag nicht zu sagen, ob er selbst an dem Konzert mitgewirkt hatte, nur als Zuhörer anwesend oder zufällig unter die Menge geraten war, die nach dem Abschluss aus dem Saal und dem Gebäude drängte; — ich bin mir nicht einmal sicher, ob er überhaupt ein Instrument beherrschte, obwohl einige seiner Bemerkungen und manche Indizien dafür sprachen und vielleicht hat er sich nur einen Scherz erlaubt und in mir einen unfreiwilligen, aber desto begabteren Mitspieler gefunden. Weiter als PDF.

Ein Leben für die Literatur

Es war nicht auszumachen woher die Stimme kam, aber sie hatte zweifellos recht. Mein Leben für die Literatur, wiederholte Bob, das war es, was ich immer wollte. Mehr von diesem Beitrag lesen

Das Ewige und die Welt

Ihr Götter!, rufe ich lachend; und während meine Stimme durch ein Labyrinth aus Stein irrt, und sich immer wieder überschlägt, greife ich einen faustgroßen Splitter aus dem Bett, und schleudere ihn gegen den Himmel. Ich betrachte seinen Fall, und male ich mir den ihren aus: Was hattet ihr, außer Hohn, für unsere geliebte Erde übrig? Mehr von diesem Beitrag lesen

Thomas. Fragmente und Erinnerungen.

Erzählen. Was kann man anderes tun, als erzählen? Was bleibt in dieser Welt noch, als sich am Erzählten zu berauschen, und im Rausch von ihr zu erzählen? Was, als dieser Welt seine eigene entgegen zu halten, und aus einer Gegnerschaft heraus zu bejahen? Und doch: Es gibt ein Leben, es gibt ein Versprechen, das selbst jene Fliesen zurückwerfen, die jeden Tag meine Füße zerschneiden. Mehr von diesem Beitrag lesen

Sebastian

Thomas und Sebastian starrten auf eines der klassizistischen Häuser in der Museumsstraße. Und obwohl es alles andere als einen Anblick bot, der zum Halten einlud, und die beiden auch keine Freunde klassizistischer Architektur waren, so dass ein hervorragender Erker, oder ein zierliches Sims ihre Aufmerksamkeit beansprucht hätte, blieben sie dennoch stehen. Mehr von diesem Beitrag lesen