Kategorie-Archiv: Miniaturen

Hochsommer

Es ist ein eigenartiger Friede, den der Hochsommer dem Land auferlegt: Die Raserei verebbt, wie die Emsigkeit und die Lebendigkeit der Natur, eine unzeitgemäße Einkehr, möchte man meinen: In der Hitze verdorrt die letztere, gleichsam ihr erstes Sterben und in derselben Hitze sinken wir ermattet zu Boden und begreifen die Verwandtschaft zu unserem täglichen Tun nicht: Wir wünschen uns bloß ein Ende der Hitze und der Schwüle, um endlich wieder etwas Vernünftiges tun zu können, und meinen damit bloß das, was wir sonst auch tun, wir hoffen also irgendetwas tun zu können. Ein Wunsch nach der Fortsetzung des Irrsinns, keine Einkehr und vielleicht ist es mein Irrtum an so etwas überhaupt zu denken. — Also finden, in diesem drückenden Schweigen, noch einmal Sterben und Schönheit zusammen, ohne einander aufzuheben, das Wesentliche ist beisammen, in der Natur wenigstens: Aber sind wir ihr nicht längst entlaufen? Haben wir uns nicht eine künstliche an ihrer statt erschaffen? Und trotzdem: In Mitten dieses Widerspruchs streckt sich mein Jubel, mein Lebenssinn empor: Das Widersprüchliche als der große Nährer, und wieder ich denke mir: Ist das so? Die Spontanität meines Jubels, spricht dagegen: Das Leiden am Sein, wie eine letzte menschliche Regung, im gewaltsamen Verschränken der Dinge, im Zusammenzwingen der Sinne, ein Verschmelzen, ein Verschieben, Delirium und Trance: In dieser Hitze liegt mehr Lebendigkeit, als in unserem sonstigen Tun! — Ein schalkhaftes Lachen, eine Fröhlichkeit, die im Nichtverstehen der anderen, das ich ihnen frohen Muts unterstelle, seinen Raum gewinnt.

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Entfernung

Er zog das rosarote Kunststoffstanitzel, das er kurz zuvor in den Sand gesteckt hatte, wieder heraus und zeigte, nachdem er die konische Einkerbung im Sand einige Zeit lang betrachtet hatte, darauf und rief sein „Di daa…!“, wie zuvor sein „Ah daa“ und sein „Oooh“, das den Einsturz seines Sandturms begleitet hatte: Aber das andere, neben der Sandkiste stehende Kind, starrte ihn bloß an, das seiner Kindheit schon so weit entwachsen war, dass es die Zeigegeste des Gleichaltrigen, mit der sich dieser – immer noch ungläubig staunend – mit der Welt verband, nicht mehr verstand.

Çai

Sie hob die obere der beiden Messingkannen hoch und hielt kurz inne, als sie bemerkte, dass ich sie wohlwollend betrachtete: Ich habe sie gestohlen, sagte sie lächelnd und zuckte mit den Schultern, als ob sie damals keine andere Wahl gehabt hätte: Aus einem Teegarten, hauchte sie: in Gülhane. In die bauchigen Seiten der Kanne war ein Emblem oder ein Muster geschlagen, das in der Dunkelheit nur unvollständig zu erkennen war: Ich lächelte zurück, verlegen, dann anerkennend: Die Dellen und Scharten, Gebrauchtspuren, wie sie ein Gegenstand des Haushalts auch im Lauf vieler Jahre nicht aufweisen würde, leuchteten sanft, rötlich und golden: Eigenartig, dass gerade sie im spärlichen Licht des Hofs hervor traten.

Diese Frau war zehn Jahre jünger als ich und mindestens ein Leben reicher und dass sie es ausgehalten hatte, erschien mir wie ein Wunder: Sie goss die kleinen, schmucklosen Teegläser, die auf kreisförmigen Untersätzen aus Porzellan standen, bis zur Hälfte voll: Bei uns tun das nur die Männer, flüsterte sie, deutete auf den Flüssigkeitsstand ihres Glases, nahm die zweite, etwas größere Kanne und füllte die Gläser bis knapp unter den Rand: Sie lehnte sich zurück, in dem sie sich mit dem rechten Arm an ihrem Knie fest hielt und griff nach ihrer Zigarette, die am Rand des Ziegels, auf dem ein Stövchen und die Kannen standen, lag: Sie tat einen tiefen Zug, als ob sie alle Nachdenklichkeit der Welt einsog und stieß sie mit aller Kraft wieder aus: So ist das Leben!

Ja, eine Menge Kraft lag in dieser Stimme, noch immer, dachte ich, trotz aller Enttäuschung: Nach einer Weile nippten wir an unserem Tee und sie begann wieder zu erzählen: Jung war sie, schön, und da war doch so viel Leid.

Rückkehr und Stimmen: 3. Fort und wieder: zurück.

Meinen Alltag habe ich als ein Fremder betreten und nicht einmal von seinen Zumutungen kann ich sagen, dass sie die meinen wären: Beide, Bekenntnis und Nötigung, bleiben mir versagt und das Tagwerk, das stets gierig nach mir verlangt hatte, sah mich nicht einmal an: So blieb ich sitzen, bis es Abend wurde, rauchte, trank Tee und ließ die Zeit vergehen. Mehr von diesem Beitrag lesen

Rückkehr und Stimmen: 2. Auf der Sonnenterrasse

Ich ließ den Wirt noch einmal auf die leere Sonnenterasse, in die Nacht hinaus, kommen: Ich stand, ein Zigarillo rauchend und an einen Tisch gelehnt, da: Was für ein Trubel hier bis zum späten Abend geherrscht hatte!: Aber jetzt war Ruhe, erzwungene Ruhe und eigentlich hätte ich längst mein Lager beziehen müssen: Mehr von diesem Beitrag lesen

Rückkehr und Stimmen: 1. Erzählung eines Traums

Ein Tannenhäher schoss über die schroffen Gipfel und die milchigen Wolkenfäden hinweg, tauchte in das Blau des Himmels und berührte die gelben Blüten des Eisenhuts, die in den spiegelglatten Oberflächen der Tümpel und Seen, über die Bergrücken verstreut, inmitten von Kreuzdorn und blankem Granit, zu eindimensionalen, funkelnden Landschaften zusammengefügt waren: Der Vogel drehte, flog eine lange, ausgedehnte Kurve, hob seine Flügel, heftig schlagend, beinahe senkrecht an, und ließ sich auf einer Lärche, die mit dürren Zweigen, am Ufer eines der Seen stand, nieder: Sein dunkelbraunes Abbild glitt auf die Oberfläche des Wassers hinunter, wo es hin und her schwankte, etwas später konturierte und ruhig zu liegen kam: Der Häher bewegte weder Kopf noch Flügel und selten stieß ein Wellenkräusel gegen die weißen Tupfer seines Gefieders. Mehr von diesem Beitrag lesen

Cocktail mit Shrimps

Es ist mir, sagte Sobotsky mit schneidender Stimme, scheißegal ob da draußen irgendwann noch Krill oder wie man dieses Viecherzeugs nennt, schwimmt, ich will ihn essen, jetzt, verstehen sie das? Kai starrte ihn an, öffnete seinen Mund, zu langsam und Sobotsky kam ihm zuvor: Ich gebe ihnen einen Rat, denken Sie nicht darüber nach, warum sie ein Glas Bordeaux trinken, tun sie es. Und bevor dieses Gesellschaftstheater losgeht: Es mir ebenso scheißegal, wie es um die Welt steht, solange sie abwirft, was ich brauche. Mehr von diesem Beitrag lesen

Es geht, auf österreichisch, weiter.

…wird nicht geladen, und der Ausschuss verkürzt fortgesetzt werden. Ein Flimmern huschte über den Schirm, dann fuhr die zierliche Nachrichtensprecherin fort: Das Wetter morgen, beständig und kühl. Hans war außer sich. Er fuhr mit den Handflächen unter den Tisch, sprang auf und riss ihn hoch: Unsere Biergläser wirbelten durch die Luft, Besteck und Aschenbecher fielen scheppernd zu Boden, dann splitterte das Glas. Das allgemeine Gemurmel erstarb, alle starrten Hans an, aber nicht einmal die mit Bier übergossenen Gäste wagten etwas zu sagen. Im Hintergrund flötete die Sprecherin, Hans ging ein paar Schritte auf das gegenüber liegende Fenster zu und drehte sich blitzartig um. Erst jetzt kippte der Tisch vollends und fiel krachend, wie eine Art Deckel, in die Stille hinein. Dieses Gesocks, brüllte er: Diese Arschlöcher! Er kam langsam näher, blieb stehen, den linken in den rechten Arm verschränkt und vor die Brust gespannt. Nur seine rechte Hand wippte, mit ausgestrecktem Zeigefinger, hektisch auf und ab. Und diese anderen Arschlöcher, die die Steigbügel halten, wenn ich … dann schlug er mehrmals mit seiner Faust in die flache Hand. Das kalte, unangenehme Klatschen lies meine Gesichtsfarbe schwinden, ich griff im Sitzen nach dem Tisch und stellte ihn wieder auf. Aus Hilflosigkeit bestellte ich noch zwei Krügerl, was der abseits stehende und offenbar verschreckte Kellner erst nach der dritten Wiederholung verstand. Mehr von diesem Beitrag lesen

Auf dem Heimweg

Als ewig tritt mir in dieser Nacht das Vergängliche entgegen. Mein Blick ist auf neuartige Weise klar und jedes Rascheln im Gras, jedes Scharren im Kies bringt ein Mehr an Verbundenheit, an Eindringlichkeit und Entgrenzung. Kühl ist die Luft und schwer; sie fließt zähflüssig über die Bäume und Hochhäuser zwischen denen ich mich bewege und auf die Waschbetonplatten vor mir. Mehr von diesem Beitrag lesen

Ihre Gesichter betrachten,

sie sein lassen und dadurch begreifen. Ist das nicht alles?

Alles? Und was dann? Mehr von diesem Beitrag lesen