Schlagwort-Archiv: Österreich

Der grüne »Geist«. Zur vergangenen Nationalratswahl und der Kritik einer Partei.

Auf dem Weg zur Arbeit erhält ein Bekannter auf eine flapsige Bemerkung hin von einem Kollegen die Antwort, dass er in ein Genderseminar gehöre; die Bemerkung ist ernst gemeint und kommt von einem intelligenten Menschen. Einige Zeit später spricht der Bundespräsident der Republik Österreich, Alexander van der Bellen, vor Schülern zum Thema „Kopftuch“: Der Bundespräsident legt das Problem nicht etwa analytisch vor den Schülern dar, er moralisiert und vermeidet gerade diejenigen, die Urteil, Gründe und Begründung vielfach suchen, darin zu unterstützen und betrügt sie damit um die Komplexität und die mit dieser Thematik zusammenhängenden Fragen. Beide Haltungen haben mit den Grünen zu tun, einmal gehört sie zu einem ihrer Wähler, einmal zu einem ihrer bekanntesten Exponenten.

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Der österreichische Bundespräsident: Versuch einer Diskussionsgrundlage zur Neudefinition des Amtes.

Im Rahmen der Bundespräsidentschaftswahl 2016 wurde das Amtsverständnis des Bundespräsidenten thematisiert; es ging dabei weniger um dessen weitreichende Kompetenzen, die manche Juristen als autoritär ansehen, sondern um die tatsächlich praktizierte Amtsführung in Zusammenhang mit der Veränderung der politischen Landschaft der zweiten Republik. In Österreich entstammte der Bundespräsident (bislang) fast immer einer der beiden Großparteien (SPÖ, ÖVP) und führte sein Amt (meist) zurückhaltend »im Schatten« häufiger großer Koalitionen (Kirchschläger war der einzige parteilose Kandidat der zweiten Republik). Wer bösartig sein will, kann sagen: Das Land war ohnehin aufgeteilt und der Bundespräsident wollte dabei nicht stören. Dies führte zu der Feststellung vieler Bürger, dass man ein solch konsequenzloses Amt nicht brauche und man sich das Geld dafür sparen könne; allerdings: eine solche Amtsführung muss nicht schon per se falsch sein, sie sollte allerdings begründet werden und in irgend­einer Beziehung zu den weitreichenden Kompetenzen des Amtes stehen (braucht es diese nun oder nicht und warum wurden sie – bestehend seit 1929 – nicht längst geändert, wenn sie der politischen Realität so gar nicht entsprechen?). Hieran schlossen die Diskus­sion nach der Wahl an: Wozu diese weitreichenden Kompetenzen, die letztlich vom persönlichen Willen (der Autorität) des jeweiligen Bundespräsidenten abhängen und zudem kaum bis nie genutzt wurden, wie das Notverordnungsrecht, das Recht die Regierung als Ganze zu entlassen, das Recht einen Landtag oder den Nationalrat aufzu­lösen (die ersten drei wurden nie angewendet, das letzte ein einziges Mal von Miklas im Jahr 1930).

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Realitäten:

Von Amts wegen nicht immer vorgesehen.

Der Leser im Informationszeitalter. Eine Replik auf Rudi Fußi.

Überfluss und Verfügbarkeit von Informationen aller Art stellen, neben unserem Fassungsvermögen, in aller Deutlichkeit die Frage nach ihrer Relevanz: Um die Welt oder eher Teilwelten (noch) verstehen und zusammenhalten zu können, müssen wir zwischen bloßer Information und Wissen (bzw. Relevanz) unterscheiden, in angemessener Zeit, inklusive der Möglichkeit der Verknüpfung und (eventuell) genauerer Prüfung durch das Hinzuziehen weiterer Quellen. Darüber hinaus ist die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von relevanter Information und Wissen eine demokratische „Forderung“ (Bedingung), da sie die diskursiven Prozesse und die Meinungsbildung unterstützen oder überhaupt erst möglich machen, das Wahlverhalten beeinflussen und die Entscheidungen der Politik.

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Nun auch eine Art politische Gemeinplatzsammlung

von Thomas Glavinic (vielleicht muss sich nicht jeder Literat politisch äußern; dass ich an einer Art monarchischem Minderwertigkeitskomplex leiden soll habe ich schon vorher gewusst und halte es noch immer für Unsinn; ebenso, dass ich nicht von hier sein soll, obwohl ich hier geboren bin [nein, nicht weil die Äußerung politisch unkorrekt ist]; und die sprichwörtliche Krone auf dem Fass ist die Identitätsfindung „Schifahren“).

Aber es passt ja gut zu dem Satz, dass „der österreichischen Angst vor dem Verlust der Identität ein Denkfehler zugrunde [liegt].“

Ein lesenswerter Text zu Kraus‘ letzten Tagen der Menschheit

„Das politische System Österreichs“

In einem ausgezeichneten Artikel hat Matthäus Kattinger in der NZZ am Fallbeispiel Hypo-Alpe-Adria das System österreichischer Politik veranschaulicht. — Dass man das, in dieser Form, nicht in den heimischen Medien zu lesen bekommt, sagt einiges (eher weniger über Medien die am Gängelband der Regierung hängen, als über deren Qualität).

Die ausstehende Aufklärung, die der Autor konstatiert, und für deren Notwendigkeit durchaus Bewusstsein existiert, wird wohl erst nach dem Ende der großen Koalition (und wahrscheinlich: beider „Großparteien“) gelingen. Auch wenn man sich fragt, wer diesen Unkulturbruch bewerkstelligen sollte.

Ist nicht alles Hoffen aussichtslos,

also: Täuschung? Ein paar Tage innenpolitischer „Diskurs“ in Österreich wecken die Befürchtung Vernunft und Verstand wären bloß hoffend im Menschen angenommen, also die Idee von Aufklärung eben dies: Täuschung.

Wie auch immer, in aller Knappheit ein Ideal und eine Art politische Hoffnung gleichermaßen:

  • Verantwortung statt Gesinnung
  • Argument statt Interesse
  • Reflexion statt Hysterie
  • Diskurs statt Gewalt

Zu guter Letzt bleibt noch ein Wort: Genauigkeit. — Ist das zu viel verlangt?

Man revanchiert sich.

Die Regierungskoalition lehnte vor wenigen Tagen einen Antrag der Grünen im Untersuchungsausschuss ab: Aufgeklärt werden sollte, ob ein Fall verdeckter Parteienfinanzierung, die 60iger Feier des damaligen Kanzlers Schüssel (ÖVP), vorlag (die ÖBB bezahlten etwas mehr als 17.000 € für ein einseitiges Inserat in der Festbroschüre). — Ein solches Vorgehen gehört in der österreichischen Politik zum guten Ton, ein unausgesprochener, selbstverständlicher Akt von Höflichkeit: Eine Hand wäscht die andere und das, obwohl die schwarze Justizministerin Karl, die Staatsanwaltschaft angewiesen hat, die Ermittlungen in der Inseratenaffäre um Kanzler Faymann fortzuführen: Die Roten wissen, sapperlot!, was sich gehört, geradezu generös dieser Schulterschluss! Ganz uneigennützig scheint man dann aber doch nicht gehandelt zu haben, der 60. Geburtstag der SPÖ wurde womöglich finanziell ganz ähnlich bedacht.

Ob das bereits die zum Fass gehörige, sprichwörtliche Krone ist? Wir wissen es nicht, vermuten aber: Nein. Und somit bleibt nur noch den rot-schwarzen Abgeordneten ein kräftiges Chapeu! zuzurufen. Danke, dass ihr euch vor den Karren habt spannen lassen.

Es geht, auf österreichisch, weiter.

…wird nicht geladen, und der Ausschuss verkürzt fortgesetzt werden. Ein Flimmern huschte über den Schirm, dann fuhr die zierliche Nachrichtensprecherin fort: Das Wetter morgen, beständig und kühl. Hans war außer sich. Er fuhr mit den Handflächen unter den Tisch, sprang auf und riss ihn hoch: Unsere Biergläser wirbelten durch die Luft, Besteck und Aschenbecher fielen scheppernd zu Boden, dann splitterte das Glas. Das allgemeine Gemurmel erstarb, alle starrten Hans an, aber nicht einmal die mit Bier übergossenen Gäste wagten etwas zu sagen. Im Hintergrund flötete die Sprecherin, Hans ging ein paar Schritte auf das gegenüber liegende Fenster zu und drehte sich blitzartig um. Erst jetzt kippte der Tisch vollends und fiel krachend, wie eine Art Deckel, in die Stille hinein. Dieses Gesocks, brüllte er: Diese Arschlöcher! Er kam langsam näher, blieb stehen, den linken in den rechten Arm verschränkt und vor die Brust gespannt. Nur seine rechte Hand wippte, mit ausgestrecktem Zeigefinger, hektisch auf und ab. Und diese anderen Arschlöcher, die die Steigbügel halten, wenn ich … dann schlug er mehrmals mit seiner Faust in die flache Hand. Das kalte, unangenehme Klatschen lies meine Gesichtsfarbe schwinden, ich griff im Sitzen nach dem Tisch und stellte ihn wieder auf. Aus Hilflosigkeit bestellte ich noch zwei Krügerl, was der abseits stehende und offenbar verschreckte Kellner erst nach der dritten Wiederholung verstand. Mehr von diesem Beitrag lesen