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Çai

Sie hob die obere der beiden Messingkannen hoch und hielt kurz inne, als sie bemerkte, dass ich sie wohlwollend betrachtete: Ich habe sie gestohlen, sagte sie lächelnd und zuckte mit den Schultern, als ob sie damals keine andere Wahl gehabt hätte: Aus einem Teegarten, hauchte sie: in Gülhane. In die bauchigen Seiten der Kanne war ein Emblem oder ein Muster geschlagen, das in der Dunkelheit nur unvollständig zu erkennen war: Ich lächelte zurück, verlegen, dann anerkennend: Die Dellen und Scharten, Gebrauchtspuren, wie sie ein Gegenstand des Haushalts auch im Lauf vieler Jahre nicht aufweisen würde, leuchteten sanft, rötlich und golden: Eigenartig, dass gerade sie im spärlichen Licht des Hofs hervor traten.

Diese Frau war zehn Jahre jünger als ich und mindestens ein Leben reicher und dass sie es ausgehalten hatte, erschien mir wie ein Wunder: Sie goss die kleinen, schmucklosen Teegläser, die auf kreisförmigen Untersätzen aus Porzellan standen, bis zur Hälfte voll: Bei uns tun das nur die Männer, flüsterte sie, deutete auf den Flüssigkeitsstand ihres Glases, nahm die zweite, etwas größere Kanne und füllte die Gläser bis knapp unter den Rand: Sie lehnte sich zurück, in dem sie sich mit dem rechten Arm an ihrem Knie fest hielt und griff nach ihrer Zigarette, die am Rand des Ziegels, auf dem ein Stövchen und die Kannen standen, lag: Sie tat einen tiefen Zug, als ob sie alle Nachdenklichkeit der Welt einsog und stieß sie mit aller Kraft wieder aus: So ist das Leben!

Ja, eine Menge Kraft lag in dieser Stimme, noch immer, dachte ich, trotz aller Enttäuschung: Nach einer Weile nippten wir an unserem Tee und sie begann wieder zu erzählen: Jung war sie, schön, und da war doch so viel Leid.

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