Fragwürdige Praktiken auf der Webseite des „Standard“.

Kurz nach Mittag rief ich heute die Webseite des Standard auf, und arbeitete mich durch die Überschriften und Kurzfassungen, bis ich an einem Artikel hängen blieb: Er betraf den Tod von Michael Jackson, und trug den sinnbefreiten Titel Michael Jackson starb durch Tötungsdelikt. Lachend wählte ich ihn aus, und überflog zuerst die Leserkommentare, um zu sehen, ob das Missgeschick schon jemandem aufgefallen war, und in der Tat, ein Kommentator hatte, Wittgenstein zitierend, bereits darauf aufmerksam gemacht. Das weitere Lesen des Artikels verhinderte ein Blick auf die Uhr, denn es war Zeit wieder an die Arbeit zu gehen – ich beschloss es später nachzuholen.

Gesagt, getan, etwa zwei Stunden waren vergangen, und ich fand etwas Zeit, das Begonnene fortzusetzen, stellte aber erstaunt fest, dass (zumindest) die Überschrift in der Zwischenzeit geändert worden war. Der Artikel trug das heutige Datum, und – so mir mein Gedächtnis keinen Streich spielt – die Uhrzeit 14:22. Der besagte Kommentar (s.o.) war aber um 12:14 verfasst worden, und nach wie vor unterhalb des Artikels zu finden. Auch diesmal kam ich nicht zum Lesen, da – ich hatte gerade erst den Browser aufgeklappt -, sich ein Kollege mit einem Problem an mich wandte. Einige Stunden später fiel mir – ich war gerade dabei meinen Laptop abzuschalten und meinen Arbeitsplatz zu verlassen -, der Artikel wieder ein. Kein Problem, dachte ich, Firefox speichert die beim Beenden geöffneten Webseiten, ich muss zu Hause bloß den Browser starten, und würde endlich zum Lesen kommen. Daheim stellte ich fest, dass der Artikel (anscheinend) wieder überarbeitet worden, und neben dem heutigen Datum mit der Uhrzeit 19:22 versehen war – es gelang mir endlich ihn zu lesen, und er war mittlerweile offensichtlich zu einer Printversion geworden.

Nun ist es verständlich, dass man seine Leser, und gerade jene im Netz, auf „dem Laufenden“ halten, und Neuigkeiten zu einem Thema stetig nach reichen will. Dementsprechend wird die letzte Aktualisierung der gesamten Standardseite oben in der Datumszeile noch vor den den Artikeln ausgewiesen. Fragwürdig daran ist, gespeicherte und bereits kommentierte Artikel ohne klare Hinweise (eine Uhrzeitangabe ist für einen Leser der die Erstversion nicht kennt, bedeutungslos) zu überarbeiten oder möglicher Weise sogar zu ersetzen. Erstens, weil es den Kommentatoren gegenüber und den nachvollziehenden Lesern, die sich auf das Geschriebene beziehen, unverzeihlich ist (und obendrein ein Vertrauensbruch, denn etwas zu Papier gebrachtes ändert sich in einer Zeitung nicht mehr – vielleicht in der digitalen Welt eine antiquierte Ansicht), zweites, weil es problematisch ist, wenn man sich auf den Artikel via Link bezieht, ihn zitiert, und er nicht vor Änderungen gefeit ist, und drittens, weil es – nach dem Motto: was interessiert mich mein vor zwei Stunden geschriebener Text -, ein eigentümliches Verhältnis zu dem selbst Verfassten, offenbart. Dass Falschmeldungen oder Fehler auf diese Art und Wiese klamm heimlich verschwinden, wird hier nicht behauptet, aber das Vertrauen des Lesers diesbezüglich zumindest einer Belastungsprobe ausgesetzt. Von einer Qualitätszeitung erwarte ich mir jedenfalls zumindest einen Hinweis auf Artikeländerungen, wenn sie unter demselben Link erscheinen.

* * *

Mag sein, dass diese Vorgangsweise üblich, und mir erst jetzt aufgefallen ist – vielleicht kennt jemand derartige Praktiken von anderen Printmedien im Netz?

8 Antworten zu “Fragwürdige Praktiken auf der Webseite des „Standard“.

  1. T.M. 26. August 2009 um 7:08 am

    Wenn man Seiten aus solchen Online-Portalen per RSS abonniert, bemerkt man schnell, dass viele Artikel zwei, drei, viermal geändert werden, denn sie erscheinen immer wieder neu in der Liste, manchmal in wenigen Minuten, manchmal auch nach Stunden und Tagen. Wenn wirkliche Fehler drin sind, vor allem falsche Bilder (wenn beispielsweise auf SpOn Militärtechnik zu sehen ist, sind praktisch alle Bilder falsch) tut sich allerdings auch gar nichts, selbst wenn die „Redaktion“ per mail und per Leserkommentare mehrfach auf Fehler hingewiesen wird. Ein journalistisches Mysterium.

  2. Gregor Keuschnig 26. August 2009 um 10:38 am

    T. M. hat Recht – es scheint gängige Praxis zu sein, Artikel umzuändern und zwar nicht nur dahingehend, dass man offensichtliche Fehler korrigiert. Und es gibt – wie T. M. auch schreibt – andere Kandidaten: Diejenigen, die offensichtliche Fehler auch auf mehrfachen Hinweis nicht korrigieren. Der Blog von Stefan Niggemeier ist voll mit beiden Beispielen.

  3. metepsilonema 26. August 2009 um 11:06 am

    @Gregor & T.M.

    Ich nutze RSS wenig, das mag mit ein Grund sein. Alleine: Eine weite Verbreitung (Blogs sind m.E. eine etwas andere Angelegenheit), ist noch keine Rechtfertigung, und es wirft für mich wieder die Frage auf, in wie weit ich den Dingen, die ich lese, überhaupt trauen kann (gerade dann, wenn es Erstinformation und keine tiefer gehende Analyse ist). Andererseits: Ich nutze hier ein Angebot (auch, wenn es sich selbst als Qualität versteht, worüber man natürlich streiten kann), das mich nichts kostet, welche Ansprüche darf ich in diesem Fall überhaupt gelten machen? Absichtliche Täuschung ist es ja nicht, sondern viel eher eine schlampige Vorgehensweise. Der immer wieder zu lesende Vorschlag Nachrichtendienste im Internet in geringem Ausmaß kostenpflichtig zu machen, dafür mit besserer Qualität zu versehen, und zumindest dem gleichen Inhalt wie in der Printausgabe, wäre ein Ausweg – Garant ist es aber auch keiner.

    Ausbesserungen halte ich nicht für notwendig, wenn man als Leser des Artikels trotzdem auf den Fehler hingewiesen wird – man steht dann sozusagen zu seinen Irrtümern.

    • T.M. 27. August 2009 um 11:04 am

      RSS ist ja nur ein Werkzeug, kein neues, nicht mehr vertrauenswürdiges Medium. Und es ist als Werkzeug sehr praktisch. Niemand kann ja das, was mehrere Verlagshäuser heute täglich produzieren, auch nur hinreichend genau überfliegen, geschweige denn vergleichen. Es ist schon gut, wenn man dies sequentiell und komprimiert in feeds geliefert bekommt. Man kann mit einem schnellen feed reader (G00gle News) auch das zeitliche Erscheinen einer Information und ihre Ausbreitung ganz gut feststellen. So bemerkt man beispielsweise, dass die Online-Angebote von SpOn und der Süddeutschen praktisch identisch sind, bis hin zur Wortwahl. Es besteht zudem ein beinahe direkter Link zwischen SpOn und dem National Geographic, es ist verblüffend.

      Hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit stellt sich allerdings heute generell das Problem, wem glaubt man was? Selbst das Stützen einer Information durch separate Quellen ist heute nicht mehr zuverlässig. Am Ende war es doch nur ein- und dieselbe Quelle hinter hunderten von Meldungen, Nachrichtenbeiträgen und Blog-Artikeln, und die beruhte auf einem Gerücht oder einer unbedachten Äusserung.

      Doch, Ausbesserungen sind dringend notwendig, wenn Informationen objektiven Gegebenheiten widersprechen. Medien sind heute führend und so gut wie allein auf dem Gebiet der Meinungsproduktion.

      • metepsilonema 27. August 2009 um 12:32 pm

        Da war ich wohl missverständlich … ich weiß schon was RSS ist, wozu man es verwenden kann, und ich habe es auch schon ausprobiert (z.B. für die „Überwachung“ von Blogs, aber es ist wieder ein Instrument, das Informationen die zu viel werden bündelt, und dazu verleitet immer mehr zu bündeln, bis es wieder zu viel wird – u.a. deshalb besuche ich blogs ganz konventionell, dafür eine beschränkte Anzahl). Interessant in jedem Fall die Möglichkeit Verbindungen u.a. „aufzudecken“, auf die Idee kam ich noch nicht.

        Hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit stellt sich allerdings heute generell das Problem, wem glaubt man was? Selbst das Stützen einer Information durch separate Quellen ist heute nicht mehr zuverlässig. Am Ende war es doch nur ein- und dieselbe Quelle hinter hunderten von Meldungen, Nachrichtenbeiträgen und Blog-Artikeln, und die beruhte auf einem Gerücht oder einer unbedachten Äusserung.

        Mehr denn je sind hier Journalisten gefragt vor Ort zu recherchieren und Quellen so weit wie möglich zurück zu verfolgen (das kostet Zeit und Geld, und ist ein Problem; online verfügbare Quellen auswerten kann heute jeder Blogger, Journalisten sollen das selbstverständlich auch tun, aber sich nicht darauf beschränken.

        Zu den Ausbesserungen, wie auch schon im Kommentar an Gregor vermerkt, dachte ich an einen Vermerk unterhalb des Artikelendes, den man nicht übersehen kann, wenn man den Artikel zu Ende liest.

  4. Gregor Keuschnig 27. August 2009 um 8:57 am

    Ausbesserungen halte ich dann für absolut notwendig, wenn sie bspw. falsche Fakten transportieren. Als Leser des Artikels lese ich nicht unbedingt die Kommentare, um dann in Kommentar #34 festzustellen, dass der Schreiber etwas vergessen hatte oder falsch darstellt.

  5. metepsilonema 27. August 2009 um 12:38 pm

    Grausig welche Fehler man übersieht, obwohl man meint Korrektur gelesen zu haben. Ich habe im dritten Absatz einen fehlenden Artikel eingefügt, und einen Halbsatz richtig gestellt – satt dreimal „nachvollziehen“, nur mehr einmal.

Hinterlasse einen Kommentar